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„Roy, kommen Sie und holen Sie diese verdammte Katze!“

Kater Kiddo war der Grund für den ersten Funkspruch, der von Bord eines Luftfahrzeuges abgesetzt wurde. Im Jahre 1910 wurde er als Bordkatze auf der America "eingestellt", erwies sich zunächst jedoch nicht flugtauglich.

Melvin Vaniman und Kiddo

Als Mäusefänger auf Schiffen hat sich die Katze hochverdient gemacht, und einige Exemplare erlangten durch ihren ehrenwerten Beruf sogar Berühmtheit, um nicht zu sagen Weltruhm. So wie etwa "unsinkable Sam", der im zweiten Weltkrieg die Seiten wechselte, als sein Schiff, die Bismarck, versenkt wurde, und von da an unter britischer Flagge Mäuse jagte. Wir werden über ihn in einem Beitrag noch extra berichten. Doch schon der Wikinger Leif Ericsson soll von König Olav für seine Fahrt nach Amerika einige Waldkatzen erhalten haben, und tatsächlich wurden in seinem Grab bei Boston Katzenskelette entdeckt.

Und so scheint es nur natürlich und konsequent, dass die Katze auch dabei war, als die Schifffahrt schließlich am Ende des 19. Jahrhunderts begann, sich in die Luft zu verlagern. Zu dieser Zeit befand sich der Wettlauf um die Eroberung der Pole auf seinem Höhepunkt und man versuchte mit allen erdenklichen Mitteln, zu ihnen zu gelangen. Auch die erst seit einigen Jahren verfügbaren Luftfahrzeuge wie Ballons oder Luftschiffe gerieten so in den Fokus der Entdecker, denn manche dieser Abenteurer sahen in den neuartigen Fluggeräten die perfekten Instrumente, die entlegenen Polarregionen relativ bequem erreichen zu können. 1910 etwa erkundete Graf Zeppelin von Spitzbergen aus die Möglichkeit einer Polarexpedition per Luftschiff, und der Italiener Umberto Nobile, der mit den Luftschiffen Norge und Italia  zweimal den Nordpol überquerte, dürfte den meisten Lesern bekannt sein.

Doch bereits im Jahr 1897 versuchte der schwedische Ingenieur Salomon August Andrée mit einem Wasserstoffballon den Nordpol zu erreichen. Sein Versuch scheiterte. Bis auf eine Brieftaube und zwei Bojen mit Nachrichten erfuhr die Öffentlichkeit nichts über den Verlauf seiner Expedition – bis im Jahr 1930 die Leichen von Andrée und zwei seiner Begleiter gefunden wurden.

Der nächste Wagemutige, der es unternahm, den Nordpol auf dem Luftweg zu erreichen, war der amerikanische Journalist Walter Wellman. Dieser versuchte ab 1893 mehrmals, auf "konventionelle" Art von Spitzbergen aus zum Nordpol zu kommen, scheiterte aber jedes Mal. So reifte in ihm schon bald die Überzeugung, dass der einzige Weg zum Pol durch die Luft führen müsse. Auf der Friedenskonferenz von Portsmouth 1905, wo er als Berichterstatter tätig war, lernte er den Lenkballon der Gebrüder Lebaudy aus Frankreich kennen und war überzeugt, mit diesem Fluggerät eine Polarexpedition erfolgreich absolvieren zu können. So entschloss er sich dazu mit Unterstützung seiner Zeitung, dem "Chicago Record Herald", eine Reise zum Nordpol vorzubereiten und gab dazu in Frankreich den Bau eines Luftschiffes in Auftrag.

Im Mai 1906 waren alle Teile der America, wie das Luftschiff heißen sollte, fertiggestellt und wurden dann nach Danskøya bei Spitzbergen transportiert. Leider erwiesen sich die Motoren bei Testläufen als zu schwach. Andere Quellen behaupten, Wellman wäre es damals nicht gelungen, genug Wasserstoff herbeizuschaffen. Wie dem auch sei, die America wurde wieder nach Frankreich zurück transportiert und konnte, nach einer Überarbeitung, erst im September 1907 ihre Jungfernfahrt absolvieren. Dabei musste sie wegen eines Schneesturms auf der Hauptinsel notlanden und wurde schwer beschädigt. Wieder wurde sie zur Reparatur nach Frankreich zurückgeschickt. 1909 kam es dann zum endgültig letzten Versuch, mit diesem Fahrzeug den Nordpol zu erreichen. Erneut ereignete sich ein Unglück – das Luftschiff verlor ein Teil des Ballastes – und musste nach nur 50 Kilometern Flug wieder umkehren.

Um doch noch etwas Außergewöhnliches mit der America zu vollbringen, entschloss sich Wellman zu einer Atlantiküberquerung. Um 8 Uhr am Morgen des 15. Oktober 1910 startete das Luftschiff von Atlantic City aus in Richtung Europa, mit einer sechs Mann starken Besatzung an Bord – und einer Katze! Kiddo, ein Kater, war ein Streuner und lebte im Hangar der America. Der Navigator, Frederick Murray Simon, hatte das Tier kurz vor dem Start eingefangen und brachte es als Maskottchen mit an Bord. "Wir werden kein Glück haben ohne eine Katze an Bord!" war seine Begründung dafür. Kiddo war sich seiner Rolle allerdings wohl nicht wirklich bewusst: Verstaut im Rettungsboot des Luftschiffs genoss er die Reise überhaupt nicht und brachte mit seinem jämmerlichen Geheule den Chefingenieur, Melvin Vaniman, gegen sich auf. Da die America als erstes Luftschiff überhaupt mit einem Funkgerät ausgestattet war, setzte der erzürnte Vaniman einen Funkspruch an Wellmans Sekretär in Atlantic City ab: "Roy, kommen Sie und holen Sie diese verdammte Katze!" Dadurch wurde Kiddo nicht nur zur ersten Katze, die den Versuch unternahm, den Atlantik auf dem Luftweg zu überqueren, sondern wurde auch zur Ursache für den ersten Funkspruch, der von Bord eines Luftfahrzeuges gesendet wurde.

Die Mannschaft stopfte Kiddo in einen Sack und versuchte, ihn auf ein Motorboot herabzulassen, das dem Luftschiff folgte. Aufgrund der rauen See gelang das allerdings nicht, und Kiddo blieb somit an Bord. Er gewöhnte sich nun recht schnell an seine ungewohnte Situation und Murray, der Navigator, schlug zukünftigen Abenteurern vor: "Überquert den Atlantik niemals ohne eine Katze! Für uns war unser Kater nützlicher als irgendein Barometer. Er sitzt nun, während ich dies hier schreibe, auf dem Segel des Rettungsbootes und putzt sich das Gesicht in der Sonne, ein erfreulicher Anblick feliner Zufriedenheit. Diese Katze hat Ärger immer weit im Voraus erkannt. Zwei-oder dreimal, wenn wir das Gefühl hatten, alles würde reibungslos verlaufen, gab sie uns klare Anzeichen, dass wir bald etwas in den Nacken bekommen würden."

Die America flog 71 ½ Stunden und 1008 Meilen, alle Rekorde der damaligen Zeit brechend, und musste dann aufgrund mehrerer technischer Mängel ihre Fahrt abbrechen. Die ganze Besatzung und das Rettungsboot, auf dem Kiddo diese Reise zum größten Teil zugebracht hatte, wurde 644 Kilometer östlich von Kap Hatteras vom Dampfschiff Trent an Bord genommen und nach New York gebracht. Kiddo wurde anschließend im Kaufhaus Gimbels, auf Plüschkissen, der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Den Rest seines Lebens verbrachte er bei Wellmans Tochter Edith.

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